Es ging ums blanke Überleben. Als Freya Ottinger noch im Mutterleib lag, wurde ein Darmverschluss festgestellt. Eine Woche vor dem errechneten Termin wurde sie per Notoperation zur Welt gebracht und erhielt einen künstlichen Darmausgang, der erst nach drei Monaten zurückverlegt wurde. Dass Freya Ottinger einmal Mannschaftsmeisterin im Tischtennis (U15) in Baden-Württemberg werden würde, war so ziemlich das Letzte, an das ihre Eltern bei der Geburt dachten. Freya Ottinger leidet seitdem unter Mukoviszidose, einer Stoffwechselerkrankung, bei der die Körpersekrete dickflüssig werden, was zu Funktionsstörungen bei unterschiedlichsten Organen führen kann. „Freya hatte bis zum vierten Lebensjahr regelmäßig Verstopfungen und musste im Krankenhaus mit Einläufen versorgt werden“, erinnert sich Vater Max Rommel.
Bei Freya, die den Nachnamen der Mutter trägt, wurde eine besonders schwere Mutation der Mukoviszidose diagnostiziert, die sich auf Bauchspeicheldrüse, Leber, Darm und Lunge auswirkt. Noch heute im Teenager-Alter schluckt sie am Tag 20 Tabletten, inhaliert mit einer Kochsalzlösung und greift morgens und abends zum Asthmaspray. Doch es gibt in der Familie aus Stuttgart-Zuffenhausen seit zwei Jahren eine erfreuliche Entwicklung, die mit der Zulassung zweier Medikamente zu tun hat. „Das hat alles verändert“, erzählt ihr Vater, dessen Familie bei der Finanzierung der Medikamente auch von der Michael-Schumacher-Stiftung unterstützt wurde. So verbesserte sich Freyas Lungenfunktion innerhalb einer Woche um 30 Prozent, zudem regenerierte sich die Leber in weiten Teilen wieder. „Dank des medizinischen Fortschritts können Menschen mit Mukoviszidose durchaus 70 Jahre und älter werden“, erklärt Max Rommel.
Tischtennis hat im Leben von Freya Ottinger früh eine Rolle gespielt. Als sie in der dritten Klasse war, stellten zwei Spieler des TV Zuffenhausen die Sportart in ihrer Schule vor. Freya war sofort ergriffen und schnell erfolgreich, bei den Mini-Meisterschaften im Verein holte sie den ersten Platz. Als die Corona-Pandemie ein Weiterspielen unmöglich machte, organisierte ihr Vater eine wetterfeste Tischtennis-Platte für den Garten. „Freya hat täglich gespielt“, erinnert er sich. Als die Corona-Regeln gelockert wurden, spielte Freya Ottinger beim TV Zuffenhausen im Mädchen- und Frauenteam in der Landesliga. 2021 wurde sie Bezirksmeisterin und qualifizierte sich für die Regions- und die baden-württembergischen Meisterschaften. „Da kam sie konditionell allerdings an ihre Grenzen“, erzählt Max Rommel. Ein Jahr später fiel Friedemann Wagner die aggressive Linkshänderin beim U15-Ranglistenturnier auf. „Ihr Schicksal hat mich bewegt“, erzählt der Tischtennis-Abteilungsleiter des TSV Korntal.
Da der Verein Mitglied im württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband (WBRS) ist, öffnete sich Freya Ottinger der Einstieg in den Para-Sport. „Ich weiß, was es einem gibt, wenn man mit 300 Sportlern, bei denen man bei 95 Prozent die Behinderung sieht, seinen Enthusiasmus für Tischtennis teilen kann“, erklärt Wagner, der wegen einer Darmkrebs-Erkrankung selbst mehrere Jahre Teil der Para-Sportwelt war und bei deutschen Meisterschaften mitgespielt hat. „Ich wollte meine Begeisterung auf Freya übertragen“, sagt Wagner. Gleich bei ihrem ersten Para-Turnier, den deutschen Jugendmeisterschaften, holte sie im März Bronze im Einzel und Silber im Doppel. Landestrainer Momcilo Bojic war so angetan, dass er sie umgehend für die deutschen Para-Meisterschaften der Erwachsenen nominierte, wo sie im Mai mit Maike Bannuscher (Borussia Düsseldorf) im Sindelfinger Glaspalast die Silbermedaille gewann. „Freya würde auch gerne an den Paralympics teilnehmen, aber ihr eigentliches Ziel ist es, bei den Gesunden durchzustarten“, erklärt Max Rommel.
Viermal pro Woche trainiert die 13-Jährige in Böblingen am Schwerpunkt-Stützpunkt, einmal pro Woche beim TSV Korntal. Mit dem U15-Team des TSV wurde sie kürzlich in St. Ilgen baden-württembergische Mannschaftsmeisterin – gegen alle drei Konkurrenten gab es 6:0-Siege. Auch im Verbandsoberliga-Team der Mädchen wurde sie bereits eingesetzt. „Man muss sie manchmal in ihrem Ehrgeiz bremsen“, sagt Max Rommel, der über den Wechsel nach Korntal sehr glücklich ist, „hier hat sie in einem halben Jahr so viele Ranglistenpunkte gesammelt, wie in Zuffenhausen in zwei Jahren.“ Der Weg von Freya Ottinger in den beiden Sportwelten ist noch längst nicht zu Ende.
Text: Henning Maak
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